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In diesem Text wollen wir zeigen, dass die Kirche eine sichtbare Gemeinschaft von Gläubigen ist. Sie wird von der Welt gesehen, als ein sichtbares Zeugnis für die Liebe Gottes, seine Reinheit und Heiligkeit.
Inhaltsverzeichnis
Die Lehre von der „unsichtbaren Kirche“
Dass nicht jeder Besucher eines Sonntagsgottesdienstes Christ im biblischen Sinne des Wortes ist, ist heute vielen bewusst. Man spricht dann von „Namenschristen“, denen die Beziehung zu Jesus fehlt. Diese „Sonntagschristen“ feiern bei den Gottesdiensten mit, beten und singen mit den anderen, nehmen auch an der Eucharistie oder am Abendmahl teil, obwohl sie ihr Leben nach ihren eigenen Maßstäben gestalten, ohne im Alltag viel nach Gott zu fragen. In den verschiedenen Gruppierungen und Konfessionen wird das als biblisch gesehen. Man spricht hier von der Lehre der „unsichtbaren Kirche“.
Nach dieser Lehre wird zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Kirche unterschieden. Die sichtbare Kirche ist in verschiedenen Konfessionen und Kirchen anzutreffen (z. B.: römisch-katholisch, evangelisch, orthodox, Freikirchen verschiedenster Ausrichtungen). Diese sichtbaren Kirchen bestehen aus engagierten, gläubigen Mitgliedern (im evangelikalen Bereich werden sie „wiedergeboren“ genannt) und anderen manchmal „Namenschristen“ genannten Mitgliedern, denen der Glaube weniger wichtig ist. Die „unsichtbare Kirche“ wird als die eine wahre Kirche verstanden. Sie besteht aus allen „bekehrten“ oder „wiedergeborenen“ Mitgliedern der „sichtbaren Kirchen“ auf der ganzen Welt. Diese „unsichtbare Kirche“ ist keine Organisation oder Konfession. Ihre Glieder sind durch den Glauben miteinander verbunden, auch ohne einander zu kennen oder persönliche Gemeinschaft miteinander zu haben. Diese Menschen sehen es als ihre Aufgabe, im Rahmen ihrer Ortsgemeinden den weniger interessierten Mitgliedern den Glauben zu vermitteln. Sie wollen ein Licht für die Ungläubigen in der „Kirche“ sein und in der „inneren Mission“ aktiv sein.[1]
Im Neuen Testament finden wir aber ein völlig anderes Bild von Kirche.
Wie war es in der Urgemeinde?
Über die erste Gemeinde in Jerusalem, die nach der Pfingstpredigt des Petrus entstanden ist, können wir Folgendes lesen:
Die Menge derer aber, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele […] (Apostelgeschichte 4,32)
Aber durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder unter dem Volk; und sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salomos. Von den Übrigen aber wagte keiner, sich ihnen anzuschließen, doch das Volk rühmte sie. Aber um so mehr wurden [solche], die an den Herrn glaubten, hinzugetan, Scharen von Männern und auch Frauen. (Apostelgeschichte 5,12–14)
Die Wunder, die unter den Christen geschehen sind, ihre Hingabe an Gott, ihre Liebe zueinander haben bei den Juden Respekt und Ehrfurcht hervorgerufen. Sie haben verstanden, dass es nur mit der Hingabe des ganzen Lebens an Jesus möglich war, sich der Gemeinde anzuschließen. Die Menschen, die den Wunsch hatten, Gott aus ganzem Herzen zu lieben, glaubten an Jesus und gehörten zur Kirche. Die übrigen Juden, die zu diesem Leben nicht bereit waren, wagten nicht, sich den Jüngern anzuschließen.
Wenn ein Ungläubiger zur Gemeinde kam, beurteilte diese das „Verborgene seines Herzens“.
Wenn nun die ganze Gemeinde zusammenkommt und alle in Sprachen reden, und es kommen Unkundige oder Ungläubige herein, werden sie nicht sagen, dass ihr von Sinnen seid? Wenn aber alle weissagen und irgendein Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, so wird er von allen überführt, von allen beurteilt; das Verborgene seines Herzens wird offenbar, und so wird er auf sein Angesicht fallen und wird Gott anbeten und verkündigen, dass Gott wirklich unter euch ist. (1 Korinther 14,23–25)
Die ganze Gemeinde ließ sich von Gott führen, bemühte sich mit Liebe und Hingabe, sodass der Gast verstand, wovon er umkehren sollte. Das konnte in einem Fall kürzer und in einem anderen Fall länger dauern. Wenn jemand aber nicht umkehren wollte, nachdem er von der Gemeinde beurteilt worden war, fehlte die Grundlage dazu, ihn zu taufen. Er hat sich auch nicht der Gemeinde angeschlossen und nahm an ihrem Gemeinschaftsleben nicht teil.
Es gab Ausnahmefälle, in denen Menschen wie Simon der Zauberer sich, nachdem sie das Evangelium gehört hatten, der Gemeinde anschlossen. Als Philippus den Samaritanern Jesus als den Messias verkündete, kamen viele von ihnen zum Glauben und wurden getauft, auch Simon, obwohl er sein Denken nicht verändert hatte[2]. Da sich so viele Menschen gleichzeitig bekehrt hatten, war es für Philippus nicht so leicht, zu erkennen, dass einer von ihnen (Simon) nicht ehrlich war. So war es möglich, dass Simon für kurze Zeit andere Christen täuschen konnte. Die Wahrheit über ihn kam aber bald ans Licht, und Petrus, der etwas später aus Jerusalem kam, stellte sich ihm entschlossen entgegen:
Als aber Simon sah, dass durch das Auflegen der Hände der Apostel der Geist gegeben wurde, brachte er ihnen Geld und sagte: Gebt auch mir diese Macht, dass der, dem ich die Hände auflege, den Heiligen Geist empfange. Petrus aber sprach zu ihm: Dein Geld fahre mit dir ins Verderben, weil du gemeint hast, dass die Gabe Gottes durch Geld zu erlangen sei! Du hast weder Teil noch Recht an dieser Sache, denn dein Herz ist nicht aufrichtig vor Gott. Tue nun Buße über diese deine Bosheit und bitte den Herrn, ob dir etwa der Anschlag deines Herzens vergeben werde; denn ich sehe, dass du voll bitterer Galle und in Banden der Ungerechtigkeit bist. Simon aber antwortete und sprach: Bittet ihr für mich den Herrn, damit nichts über mich komme von dem, was ihr gesagt habt. (Apostelgeschichte 8,18–24)
Wir sehen eine ähnlich strenge Beurteilung auch in anderen Fällen, als sich einige in die Gemeinde einschlichen, deren Leben und Denken im Gegensatz zur Lehre Jesu und der Apostel stand:
Denn gewisse Menschen haben sich heimlich eingeschlichen, die längst zu diesem Gericht vorher aufgezeichnet sind, Gottlose, welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und den alleinigen Gebieter und unseren Herrn Jesus Christus verleugnen. (Judas 4)
Judas drückte dadurch aus, dass diese Menschen keinen Platz in der Gemeinde haben. Auch wenn es ihnen gelang, sich einzuschleichen, konnten sie dennoch nur für kurze Zeit in der Gemeinde bleiben, bis es den Gläubigen klar wurde, dass sie keine Geschwister waren.
Eine ähnliche Situation finden wir in 1 Johannes 2,18–20:
Kinder, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen aufgetreten; daher wissen wir, dass es die letzte Stunde ist. Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wenn sie von uns gewesen wären, würden sie wohl bei uns geblieben sein; aber sie blieben nicht, damit sie offenbar würden, dass sie alle nicht von uns sind. Und ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisst alles.
Hier schreibt Johannes über Menschen, die eine Zeit lang in der Gemeinde gewesen sind, aber nie Christen sondern Verführer waren[3]. Es scheint, dass die Christen dort diese Irrlehrer nicht tief genug beurteilten. So sieht es Johannes als nötig an, der Gemeinde in seinem Brief mehr zu erklären, um ihnen eine bessere Grundlage zur Beurteilung zu geben. Er schreibt zunächst über den Wandel im Licht (Kapitel 1,6–7) und das Halten der Gebote Jesu (Kapitel 2, 3–6). Dabei bezieht er sich vor allem immer wieder auf die Liebe der Christen untereinander (Bruderliebe: Kapitel 2,9–11; 3,14–18.23; 4,7–8.20–22), verbunden mit der Abkehr von Sünden (Kapitel 3,4–10). Als untrennbar damit verbundenes „Erkennungsmerkmal“ der Christen nennt Johannes den richtigen Glauben, die richtige Lehre von Jesus (Kapitel 2,22–23; 4,2–3) und er fordert die Christen ausdrücklich dazu auf, die Lehre von Menschen, mit denen sie in Verbindung kommen, zu prüfen:
Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen. (1 Johannes 4,1)
Dass Johannes hier nur über eine konkrete Irrlehre, die Gnosis, mit der diese Gemeinde konfrontiert war, schreibt, heißt nicht, dass er über andere Irrlehren anders gedacht und geschrieben hätte.
In seinem Brief unterscheidet er deutlich zwischen den Empfängern des Briefes (der Gemeinde) und den Nichtchristen, welche nicht (mehr) in der Gemeinde waren.
Auch an weiteren Stellen des Neuen Testaments finden sich Ermahnungen, in denen die Gemeinden aufgefordert werden, solche Menschen aufzudecken und sich von ihnen zu trennen: Apostelgeschichte 20,29–31; Matthäus 24,23–26; 1 Timotheus 4,1–3; 6,3–5; 2 Timotheus 3,1–9.
Die Gemeinde ist rein und heilig
Wenn jemand auf eine Weise gesündigt hatte, die seine Beziehung zu Gott zerstört hat, und wenn er sich trotz wiederholter Hilfe und Ermahnungen nicht von seinen Sünden abwenden wollte, dann beendete die Gemeinde die Gemeinschaft mit ihm. Sie schloss ihn aus. Sie handelte nach dem Gebot Jesu:
Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde. Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemeinde; wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner. Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr etwas auf der Erde binden werdet, wird es im Himmel gebunden sein, und wenn ihr etwas auf der Erde lösen werdet, wird es im Himmel gelöst sein. (Matthäus 18,15–18)
Juden hatten mit Heiden keine Gemeinschaft, weil sie diese für unrein hielten (Apostelgeschichte 10,28). Auch Zöllnern gegenüber verhielten sie sich ähnlich, da diese mit der römischen Besatzungsmacht kooperierten (siehe Matthäus 9,10–11). Diese grundsätzliche Ablehnung war sicher nicht richtig aber jüdische Praxis. Jesus ging von dieser Tatsache aus, aber zeigte, dass der Grund für die Abgrenzung nicht im sozialen Status oder in der Volkszugehörigkeit eines Menschen liegen darf, sondern nur darin, dass jemand die Hilfe, die ihm wiederholt von seinen Brüdern und Schwestern angeboten wurde, ablehnt und zurückweist, und lieber in seinen Sünden verharrt.
Im 1. Korintherbrief finden wir ein praktisches Beispiel dafür, wie diese Worte Jesu angewendet wurden:
Überhaupt hört man, dass Unzucht unter euch sei, und [zwar] eine solche Unzucht, die selbst unter den Nationen nicht [stattfindet]: dass einer seines Vaters Frau habe. Und ihr seid aufgeblasen und habt nicht vielmehr Leid getragen, damit der, welcher diese Tat begangen hat, aus eurer Mitte hinweg getan würde! Denn ich, zwar dem Leibe nach abwesend, aber im Geiste anwesend, habe schon als anwesend das Urteil gefällt über den, der dieses so verübt hat, wenn ihr und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus versammelt seid – einen solchen im Namen unseres Herrn Jesus dem Satan[4] zu überliefern zum Verderben des Fleisches, damit der Geist errettet werde am Tage des Herrn. Euer Rühmen ist nicht gut. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? Fegt den alten Sauerteig aus, damit ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ja bereits ungesäuert seid. Denn auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet. (1 Korinther 5,1–7)
Einige Verse später setzt Paulus wie folgt fort:
Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Unzüchtiger ist oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Lästerer oder ein Trunkenbold oder ein Räuber, mit einem solchen nicht einmal zu essen. Denn was habe ich zu richten, die draußen sind? Richtet ihr nicht, die drinnen sind? Die aber draußen sind, richtet Gott. Tut den Bösen von euch selbst hinaus! (1 Korinther 5,11–13)
Jemand könnte fragen: „Wie ist das dann mit der Geduld und Hoffnung, von der Paulus im selben Brief schreibt (1 Korinther 13) ? Hatte Paulus keine Hoffnung, dass der Sünder wieder sein Herz für Gott öffnet?“ Ja, er hatte Hoffnung![5]
Aber obwohl Paulus die Rettung des Sünders für möglich hielt, bzw. gerade deshalb, knüpfte er die Zugehörigkeit zur Gemeinde an klare Bedingungen. Obwohl diese Art der Abgrenzung (der Ausschluss) schwer und schmerzhaft ist, kann die Gemeinde Gottes nicht Gemeinschaft mit jemandem haben, der an der Sünde festhält. Wenn der Ausgeschlossene umkehrt, kann er zur Gemeinde zurückkehren. Er hat sich ja wieder dazu entschlossen, ein Leben zu führen, das Gottes und seiner Gemeinde würdig ist.
Die ersten christlichen Gemeinden bewahrten auf diese Weise ihre Reinheit als Gemeinden Gottes. So war es möglich, dass keine Ungläubigen unter ihnen waren. Deswegen kann Paulus seine Brüder und Schwestern als „Heilige“ ansprechen (Z. B. 1 Korinther 1,1–3; 2 Korinther 1,1–2).[6]
Im Neuen Testament hat der Begriff „Heiliger“ die gleiche Bedeutung wie „Christ“ (Apostelgeschichte 9,13; Epheser 5,3; Philipper 4,21–22; Hebräer 3,1). Alle Christen sind Heilige, und nur jene können zur Kirche gehören, die sich heiligen lassen und Gott in ihrem Leben regieren lassen (Hebräer 12,14; Epheser 5,5; Galater 5,19–21). Es sind hier nicht sündlose Menschen gemeint (das wird besonders in den Briefen an die Korinther deutlich), sondern solche Menschen „die geheiligt sind in Christus“ (1 Korinther 1,2), die Jesu Vergebung und Erlösung angenommen haben. Auch wenn sie fallen und sündigen, hören sie auf Ermahnung und wollen sich ändern. Jedes Glied der Kirche kämpft gegen Sünde. Ein Christ kann kein Doppelleben führen. Er kann nicht Gott dienen, während sein Herz in der Welt ist. Ebenso kann auch die Kirche keinen Platz für Sünder haben, die sich nicht ändern wollen (Matthäus 6,24; 10,38–39; Johannes 12,25–26; Jakobus 4,4; 1 Johannes 2,4–6 und 15–17)
Wenn Christen akzeptierten, dass Menschen, die ein Leben nach der Art dieser Welt führen, mit ihnen geistliche Gemeinschaft haben, würden sie diese in ihrem Selbstbetrug unterstützen. Sie würden sie ja als Brüder und Schwestern im Glauben ansehen, obwohl sie das nicht sind. So würden sie auch den Außenstehenden ein falsches Bild von Gemeinde zeigen.
Geht nicht unter fremdartigem Joch mit Ungläubigen! Denn welche Verbindung haben Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Denn wir sind der Tempel des lebendigen Gottes; wie Gott gesagt hat: „Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Darum geht aus ihrer Mitte hinaus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt Unreines nicht an, und ich werde euch annehmen und werde euch ein Vater sein, und ihr werdet mir Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Allmächtige. (2 Korinther 6,14–18)
Gott kann jene als seine Kinder annehmen, die sich von Ungläubigen abgrenzen[7]. Auch das griechische Wort εκκλήσια [ekklesia] bedeutet eine Gemeinschaft, die sich herausrufen lässt. Das spielt auf den Brauch an, dass in antiken griechischen Städten die Bürger zu den öffentlichen Versammlungen durch Boten herausgerufen wurden. Auf diese Weise rufen auch die Boten des Evangeliums die Menschen, die Gott folgen wollen aus der Welt heraus. Wer diesem Ruf folgt, wird zum Glied der Gemeinde.
Wir können aus all dem sehen, dass die Praxis der ersten christlichen Gemeinden völlig anders war als die der heutigen sich christlich nennenden Gruppierungen. Heute kann jeder (nach einigen Formalitäten) ein Mitglied einer „Kirche“ werden, und üblicherweise wird Ausschluss auch nicht praktiziert. Dazu wäre eine intensive Gemeinschaft, Liebe und Hingabe notwendig: Die Menschen müssten sich Zeit füreinander nehmen, sich für das Denken und Handeln des anderen aufrichtig interessieren und so an seinem geistlichen Leben teilnehmen. Ohne diese Hingabe mit dem Ziel der Heiligung des Bruders kann das Gebot Christi nicht erfüllt werden. Die Reinheit der Kirche kann nicht bewahrt werden, sie ist in Gefahr, nicht mehr Kirche zu sein.
Die Gleichnisse vom Unkraut unter dem Weizen und vom Fischnetz
Die falsche Praxis begann nicht erst in unseren Tagen und auch die theoretische Unterstützung dafür (= die Lehre der unsichtbaren Kirche) existierte schon sehr früh. Der Prozess fand parallel mit der Verweltlichung der Kirche statt. So wie die Gemeinde sich immer mehr von Gott und einem heiligen Leben entfernte, so nahm auch die Sensibilität gegen Sünde ab. Bereits im fünften Jahrhundert missbrauchte Augustinus zwei Gleichnisse Jesu aus Matthäus 13 im Streit mit den Donatisten[8], um die Wiederaufnahme von abgefallenen Bischöfen in die Kirche aufrechtzuerhalten: Der Wunsch schuf falsche Lehren.
Augustinus behauptete aufgrund des Gleichnisses vom Unkraut und Weizen (Matthäus 13,24–30.36–43) und des Gleichnisses vom Netz (Matthäus 13,47–50), „dass die Gemeinde ein durchmischter Körper“ (corpus permixtum) sei, in welchem die Bösen zusammen mit den Gerechten existieren.
Jesus gab den Menschen ein weiteres Gleichnis und sprach: „Mit dem Reich der Himmel ist es wie mit einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während aber die Menschen schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut mitten unter den Weizen und ging weg. Als aber die Saat aufsprosste und Frucht brachte, da erschien auch das Unkraut. Es kamen aber die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn Unkraut? Er aber sprach zu ihnen: Ein feindseliger Mensch hat dies getan. Die Knechte aber sprachen zu ihm: Willst du denn, dass wir hingehen und es zusammenlesen? Er aber sprach: Nein, damit ihr nicht etwa beim Zusammenlesen des Unkrauts zugleich mit ihm den Weizen ausrauft. Lasst beides zusammen wachsen bis zur Ernte, und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Lest zuerst das Unkraut zusammen, und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber sammelt in meine Scheune! (Matthäus 13,24–30)
Wiederum gleicht das Reich der Himmel einem Netz, das ins Meer geworfen wurde und von jeder Gattung zusammenbrachte, das sie dann, als es voll war, ans Ufer heraufgezogen hatten; und sie setzten sich nieder und lasen die Guten in Gefäße zusammen, aber die Faulen warfen sie aus. So wird es in der Vollendung des Zeitalters sein: Die Engel werden ausgehen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten aussondern und sie in den Feuerofen werfen: Da wird das Weinen und das Zähneknirschen sein. (Matthäus 13,47–50)
Augustinus identifizierte nun den Acker und das Netz mit der Gemeinde und ignorierte, dass Jesus selbst das erste Gleichnis anders interpretierte:
Dann entließ er die Volksmengen und kam in das Haus; und seine Jünger traten zu ihm und sprachen: Deute uns das Gleichnis vom Unkraut des Ackers. Er aber antwortete und sprach: Der den guten Samen sät, ist der Sohn des Menschen, der Acker aber ist die Welt; der gute Same aber sind die Söhne des Reiches, das Unkraut aber sind die Söhne des Bösen; der Feind aber, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte aber ist die Vollendung des Zeitalters, die Schnitter aber sind Engel. Wie nun das Unkraut zusammengelesen und im Feuer verbrannt wird, so wird es in der Vollendung des Zeitalters sein. Der Sohn des Menschen wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle Ärgernisse zusammenlesen und die, die Gesetzloses tun; und sie werden sie in den Feuerofen werfen: da wird das Weinen und das Zähneknirschen sein. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters. Wer Ohren hat, der höre! (Matthäus 13,36–43)
Nach Vers 38 steht der Acker für die Welt, nicht für die Kirche.
Die Kirche ist in der Welt und leuchtet in ihr als ein Licht. Daher kann die Kirche nicht mit der Welt identisch sein!
[…] damit ihr tadellos und lauter seid, unbescholtene Kinder Gottes inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts, unter dem ihr leuchtet wie Himmelslichter in der Welt, indem ihr das Wort des Lebens festhaltet. (Philipper 2,15–16)
Mit dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen wollte Jesus seinen jüdischen Mitmenschen helfen, ihre Vorstellungen über den Messias und dessen Reich zu korrigieren. Zur Zeit Jesu erwarteten die Juden einen Messias, der als herrlicher König und gerechter Richter kommen würde. Er würde sein Volk von der Unterdrückung durch die Gottlosen befreien und die Bösen vernichten.
Jesus ist aber nicht gekommen, um als ein politischer König zu regieren, auch nicht, um alle Übeltäter zu bestrafen. Erst bei seiner Wiederkunft wird die Welt gerichtet werden. Bis dorthin wird es auf der Erde Gute und Böse geben. Jesu Königreich ist ein geistliches Reich. Er hat die Welt in geistlicher Weise überwunden:
Dies habe ich zu euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden. (Johannes 16,33)
In Matthäus 13,41 lässt der Menschensohn „aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben.“[9] Aber hier meint „sein Reich“ nicht die Kirche, sondern die Welt. Jesus ist der Herr der gesamten geschaffenen Welt. Als Messias hat er die Autorität, über sie zu herrschen. Bei seiner Wiederkunft wird die Welt auch tatsächlich sein Reich. Alles wird ihm unterworfen, wie es auch in Offenbarung 11,15 ausgedrückt wird.
Und der siebente Engel posaunte; und es geschahen laute Stimmen im Himmel, die sprachen: Das Reich der Welt ist unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit.
In diesem Reich wird für die Bösen kein Platz sein.
In ähnlicher Weise bezieht sich auch das Gleichnis vom Netz nicht auf die Gemeinde. Von der Tatsache, dass Jesus das Reich der Himmel mit einem Netz vergleicht, folgt nicht notwendigerweise, dass das Netz die Gemeinde meint. In anderen Gleichnissen vergleicht er das Himmelreich mit einem König[10] oder mit einem Kaufmann[11]. Natürlich denkt niemand, dass der König oder der Kaufmann die Gemeinde symbolisieren soll. Jesus verwendete den Ausdruck „Reich der Himmel“, wenn er etwas über die Königsherrschaft Gottes erklären wollte[12]. „Reich Gottes“ (in Matthäus: „Reich der Himmel“) bedeutete für die Juden das Reich des Messias. Jesus wollte hauptsächlich die irdischen Vorstellungen darüber mit seinen Gleichnissen korrigieren.
Weitere oft falsch erklärte Bibelstellen
2 Timotheus 2,16–21
Die unheiligen, leeren Geschwätze aber vermeide! Denn sie werden zu weiterer Gottlosigkeit fortschreiten, und ihr Wort wird um sich fressen wie Krebs. Dazu gehören Hymenäus und Philetus,die von der Wahrheit abgeirrt sind, indem sie sagen, dass die Auferstehung schon geschehen sei, und den Glauben mancher zerstören. Doch der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt, die sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, halte sich fern von der Ungerechtigkeit! In einem großen Haus aber sind nicht allein goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene, und die einen zur Ehre, die anderen aber zur Unehre. Wenn nun jemand sich von diesen reinigt, wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet.
Zur Verteidigung der Lehre von der „unsichtbaren Kirche“ wird das von Paulus in Vers 20 erwähnte Haus mit der Kirche gleichgesetzt und die Gefäße zur Ehre und zur Unehre werden fälschlich auf die Gläubigen bzw. Ungläubigen bezogen, die in der Kirche zusammen sind.
Es ist korrekt, das Haus auf die Gemeinde zu beziehen, da es im Zusammenhang um das Leben der Kirche geht. Die Gefäße zur „Ehre“ und „Unehre“[13] jedoch beziehen sich nicht auf die gläubigen bzw. ungläubigen Gemeindeglieder. Es geht hier einerseits um Glieder, die im Glauben und in der Lehre fest gegründet sind, und so auch den Irrlehrern klar entgegentreten konnten, bzw. andererseits um solche, die schwächer waren und von Irrlehrern leichter beeinflusst werden konnten. (Damals gab es gnostische Irrlehrer außerhalb der Gemeinde, die gemieden werden sollten, da ihre Lehre sich wie Krebs verbreitet hatte und die bereits den Glauben vieler verwirrt hatten.) Der Ausdruck „Wenn nun jemand sich von diesen reinigt …“ erinnert an die Formulierung in Vers 19: „Jeder, der den Namen des Herrn nennt, halte sich fern von der Ungerechtigkeit!“ „Diese“ in Vers 21 bezieht sich nicht auf die „Gefäße zur Unehre“, sondern auf die Irrlehren und Irrlehrer. Die „Gefäße zur Unehre“ haben vielleicht schon angefangen, sich von den gnostischen Irrlehrern beeinflussen zu lassen. Wenn sie sich aber von ihnen trennen, werden sie „ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet.“
1 Korinther 15,34
Werdet in rechter Weise nüchtern und sündigt nicht! Denn manche sind in Unwissenheit über Gott; zur Beschämung sage ich es euch.
Im Zusammenhang geht es hier um das richtige Verständnis der Auferstehung. Es scheint, dass einige Christen in Korinth, die von der griechischen Vorstellung über das Leben nach dem Tod beeinflusst waren, darüber unsicher wurden, was mit ihren Leibern nach dem Tod geschehen würde, und deshalb angefangen haben, die Auferstehung des Leibes in Frage zu stellen. Die Griechen dachten, dass die Seele unsterblich sei, die Auferstehung des Leibes jedoch war für sie unvorstellbar. Paulus erklärt deshalb einerseits die christliche Lehre über die Auferstehung, andererseits ermahnt er aber die Korinther für ihre Zweifel, da sie dadurch die Kraft Gottes, der die Toten auferwecken kann, in Frage stellen. Deshalb sagt er ihnen, dass manche in Unwissenheit über Gott sind. Sie verstehen noch nicht völlig, wie mächtig Gott ist, und dass es für ihn nicht zu schwer ist, die Toten zu erwecken und ihnen unsterbliche Leiber zu schenken. Das heißt aber nicht, dass einige von ihnen keine Christen waren. Paulus spricht im einleitenden Gruß die ganze Gemeinde als Heilige an.
[…] an die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist, den Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen, samt allen, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, ihres und unseres Herrn. (1 Korinther 1,2)
Matthäus 25,1–13
Dann wird es mit dem Reich der Himmel sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und hinausgingen, dem Bräutigam entgegen. Fünf aber von ihnen waren töricht und fünf klug. Denn die Törichten nahmen ihre Lampen und nahmen kein Öl mit sich; die Klugen aber nahmen Öl in ihren Gefäßen samt ihren Lampen. Als aber der Bräutigam auf sich warten ließ, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber entstand ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam! Geht hinaus, ihm entgegen! Da standen alle jene Jungfrauen auf und schmückten ihre Lampen. Die Törichten aber sprachen zu den Klugen: Gebt uns von eurem Öl! Denn unsere Lampen erlöschen. Die Klugen aber antworteten und sagten: Nein, damit es nicht etwa für uns und euch nicht ausreiche! Geht lieber hin zu den Verkäufern und kauft für euch selbst! Als sie aber hingingen, zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen. Später aber kommen auch die übrigen Jungfrauen und sagen: Herr, Herr, öffne uns! Er aber antwortete und sprach: Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht. So wacht nun! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
In diesem Gleichnis mahnt Jesus die Gläubigen, bis ans Ende auszuharren. Er will sie auch auf eine längere Wartezeit bis zu seiner Wiederkunft vorbereiten. Die Gläubigen, die nicht ausharren (jene, die nicht genug Öl haben), werden nicht in das Himmelreich (zum Hochzeitsfest) eingelassen werden. Wenn sich jemand entscheidet, Jesus nachzufolgen, und so ein Glied am Leib Christi wird, aber später vom Glauben abfällt, verliert er sein ewiges Leben.[14] Wir sollten uns immer der Grenzen eines Gleichnisses bewusst sein. Jesus wollte zum Ausharren ermuntern, damit wir immer für sein Kommen bereit sind. Dieses Gleichnis ist aber keine Beschreibung des Gemeindelebens. Es kann daher nicht als ein Argument gegen die Notwendigkeit einer klaren Trennung zwischen Gläubigen und Ungläubigen angeführt werden.
Wir können die Situation innerhalb des Gleichnisses, dass die klugen Jungfrauen mit den törichten bis zur Ankunft des Bräutigams zusammen waren, daher nicht so verstehen, dass Jesus hier sagen wollte, dass Gläubige und Ungläubige in der Gemeinde bis zur Wiederkunft Jesu zusammen sind. Jesus sprach nur über die ewigen Konsequenzen der mangelnden Vorbereitung auf sein Kommen. Er hat nicht über die Kirche gesprochen.
Johannes 10,14–16
Ich bin der gute Hirte; und ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich,wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne; und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hof sind; auch diese muss ich bringen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein.
Jesus verwendet die Zukunft, wenn er davon spricht, dass es „eine Herde“ geben wird. Darum beziehen viele die Herde auf die Gläubigen, die Jesus am Jüngsten Tag aus den verschiedenen sichtbaren Konfessionen zusammensammeln wird. Man nimmt an, dass zu jener Zeit die Gläubigen, die in vielen verschiedenen Herden zerstreut sind, zu einer einzigen Herde vereint werden. Aber warum sollen wir dieses für die Zukunft verheißene Ereignis auf den Jüngsten Tag beziehen? Es kann sich genauso gut auf ein anderes Ereignis beziehen, das für Jesus noch in der Zukunft lag. Jesus spricht über jene Menschen, die „aus diesem Hof“ sind, und über andere, die es nicht sind. Die Schafe aus „diesem Hof“ in Vers 16 meint die Jünger aus dem Volk Israel. Es war ja Jesu Aufgabe, im Rahmen seines Wirkens auf dieser Erde, die „verlorenen Schafe Israels“ zu rufen.
Diese zwölf sandte Jesus aus und befahl ihnen und sprach: Geht nicht auf einen Weg der Nationen, und geht nicht in eine Stadt der Samariter; geht aber vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! Wenn ihr aber hingeht, predigt und sprecht: Das Reich der Himmel ist nahe gekommen. (Matthäus 10,5–7)
Daraus ergibt sich, dass es sich bei den „anderen Schafen“ um die anderen Völker handelt. Jesus wollte darauf hinweisen, dass auch Menschen aus den Heidenvölkern auf seinen Ruf hören würden. Einige Jahre später durften die Jünger dieses große Ereignis erfahren: die Vereinigung von Juden und Heiden. Paulus fasste das im Epheserbrief so zusammen:
Deshalb denkt daran, dass ihr, einst aus den Nationen dem Fleisch nach – „Unbeschnittene“ genannt von der sogenannten „Beschneidung“, die im Fleisch mit Händen geschieht- zu jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und Fremdlinge hinsichtlich der Bündnisse der Verheißung; und ihr hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt. Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst fern wart, durch das Blut des Christus nahe geworden.Denn er ist unser Friede. Er hat aus beiden eins gemacht und die Zwischenwand der Umzäunung, die Feindschaft, in seinem Fleisch abgebrochen.Er hat das Gesetz der Gebote in Satzungen beseitigt, um die zwei – Frieden stiftend – in sich selbst zu einem neuen Menschen zu schaffen und die beiden in einem Leib mit Gott zu versöhnen durch das Kreuz, durch das er die Feindschaft getötet hat. Und er kam und hat Frieden verkündigt euch, den Fernen, und Frieden den Nahen.Denn durch ihn haben wir beide durch einen Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Fremde und Nichtbürger, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (Epheser 2,11–19)
Die Vereinigung der Schafe aus den beiden Ställen geschah also schon im ersten Jahrhundert, als jüdische und heidnische Christen in der Gemeinde zu einer einzigen Herde verbunden wurden.
Unsere Schlussfolgerung
Die Lehre der „unsichtbaren Kirche“ ist in der Bibel nicht zu finden. Auch wenn es zwischen den Gliedern der Gemeinde Unterschiede gibt, was die Reife im Glauben oder den Gehorsam betrifft, steht jedes Glied in einer Beziehung zum Haupt, zu Christus (1 Korinther 12,12–27; Epheser 4,15–16). Diese Kirche wird von der Welt auch gesehen:
Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. (Johannes 13,34–35)
[…] ich in ihnen und du in mir -, dass sie in eins vollendet seien, damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast. (Johannes 17,23)
Die Welt muss die Kirche sehen können. Die christliche Gemeinde muss sich immer dieser Verantwortung bewusst sein. Eine „Kirche“, die als ein „durchmischter Körper“ lebt, ist nicht der Leib Christi und erfüllt nicht den Auftrag, den Jesus seiner Kirche gegeben hat. Christen leben in einer tiefen Gemeinschaft, die ihre Grundlage in der Lehre Jesu hat. Nur so kann ihr Zeugnis, das sie der Welt über die Liebe Christi gibt, authentisch sein.
Fußnoten:
- Der bekannte Reformator Calvin hat die Lehre der Unsichtbaren Kirche so formuliert: Wir sagten nämlich, dass die heilige Schrift über die Kirche in zwiefacher Weise spricht. (1) Wenn sie von der Kirche redet, so versteht sie darunter zuweilen jene Kirche, die in Wahrheit vor Gott Kirche ist, jene Kirche, in welche nur die aufgenommen werden, die durch die Gnade der Aufnahme in die Kindschaft Gottes Kinder und die durch die Heiligung des Geistes wahre Glieder Christi sind. Und zwar umfasst die Kirche dann nicht allein die Heiligen, die auf Erden wohnen, sondern alle Auserwählten, die seit Anbeginn der Welt gewesen sind. (2) Oft aber bezeichnet die Schrift mit dem Ausdruck „Kirche“ die gesamte, in der Welt verstreute Schar der Menschen, die da bekennt, dass sie den einen Gott und Christus verehrt, die durch die Taufe in den Glauben an ihn eingewiesen wird, durch die Teilnahme am Abendmahl ihre Einheit in der wahren Lehre und der Liebe bezeugt, einhellig ist im Worte des Herrn und zu dessen Predigt das von Christus eingesetzte Amt aufrechterhält. Unter diese Schar sind nun aber sehr viele Heuchler gemischt, die von Christus nichts haben als den Namen und den Anschein, dazu auch sehr viele Ehrsüchtige, Geizige, Neidische, sehr viele Lästerer, auch Leute von unsauberem Lebenswandel, die eine Zeitlang ertragen werden, entweder, weil man sie nicht mit rechtmäßigem Urteil überführen kann, oder weil auch nicht immer jene Strenge der Zucht herrscht, die eigentlich sein sollte.
Ebenso also, wie es für uns vonnöten ist, jene unsichtbare, allein für Gottes Augen wahrnehmbare Kirche zu glauben, wird es uns auch aufgetragen, diese Kirche, die im Blick auf die Anschauung der Menschen Kirche heißt, hochzuhalten und die Gemeinschaft mit ihr zu pflegen. – Calvin Jean, Unterricht in der christlichen Religion, IV, 1, 7 [↩] - Zum besseren Verständnis dieser Stelle: Vers 12 kann aus dem Griechischen auch übersetzt werden: „Auch Simon wurde überzeugt.“ [↩]
- Siehe dazu Vers 26: Dies habe ich euch im Blick auf die geschrieben, die euch verführen. [↩]
- Es geht nicht darum, dass der Satan eine spezielle Macht hätte, den Sünder zu foltern, sondern dass derjenige, der nicht in der Gemeinschaft ist, in der Welt ist, wo – gemäß den Worten Jesu – der Satan der Fürst ist (Johannes 14,30). Die Konfrontation mit der Welt kann im besten Fall zum „Verderben des Fleisches“, d. h. zum Aufgeben der sündhaften Einstellung führen. [↩]
- Wir können das in Vers 5 sehen: „… zum Verderben des Fleisches, damit der Geist errettet werde am Tage des Herrn“. Der Ausschluss konnte dem Sünder noch eine Hilfe sein, sich seine Stellung vor Gott einzugestehen und doch noch umzukehren. [↩]
- Ähnlich werden die Empfänger auch in anderen Briefen angesprochen: Römer 1,1–7; Philipper 1,1; Kolosser 1,1–4; 2 Petrus 1,1–4. [↩]
- Siehe auch die Pfingstpredigt des Petrus: Apostelgeschichte 2,40: „Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht.“ [↩]
- Die Donatisten – ihr Name leitet sich von Ihrem Führer, Donatus, Bischof von Karthago ab – hielten daran fest, dass die Kirche eine Kirche der „Heiligen“, nicht der „Sünder“ sein soll, und dass Sakramente wie die Taufe, die von Bischöfen, die den Glauben während der Christenverfolgung durch den Römischen Kaiser Diokletian verleugnet haben, gespendet wurden, ungültig seien. Augustinus widersprach dieser Lehrmeinung und war ihr glühender Gegner. [↩]
- Einheitsübersetzung [↩]
- Matthäus 18,23. [↩]
- Matthäus 13,45–46. [↩]
- So gibt etwa die Gute Nachricht Bibel Matthäus 13,45 so wieder: Wer die Einladung in Gottes neue Welt hört und ihr folgt, handelt wie der Kaufmann, der schöne Perlen suchte. [↩]
- Der griechische Text verwendet die Wörter τιμη [time] (= Wert, Ehre, Wertschätzung) und ατιμια [atimia] (= Unehre) Diese beiden Wörter leiten sich von den Verben τιμαω [timao] (= schätzen, ehren) bzw. ατιμαζω [atimazo] (= verunehren) ab. Auch in 1 Korinther 12,23 verwendet Paulus ein vom griechischen Wort τιμη [time] abgeleitetes Wort: ατιμοτερος [atimoteros] (= verachteter; Elberfelder: weniger ehrbar). Diese Stelle kann uns dabei helfen, besser zu verstehen, was Paulus in 2 Timotheus 2,20 mit den „Gefäßen zur Ehre und zur Unehre“ gemeint hat:
Denn wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl viele, ein Leib sind: so auch der Christus. Denn in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt worden. (1 Korinther 12,12–13)
Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht; oder wieder das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht. Sondern gerade die Glieder des Leibes, die schwächer zu sein scheinen, sind notwendig; und die uns die weniger ehrbaren am Leib zu sein scheinen, die umgeben wir mit größerer Ehre; und unsere nichtanständigen haben größere Anständigkeit; unsere anständigen aber brauchen es nicht. Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dabei dem Mangelhafteren größere Ehre gegeben,damit keine Spaltung im Leib sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander hätten. (1 Korinther 12,21–25)
Hier beziehen sich die „anständigen“ und die „nichtanständigen“, „weniger ehrbaren“ Glieder klar auf Christen. Paulus möchte ausdrücken, dass jeder Christ wertvoll ist, weil der Heilige Geist in ihm wohnt, unabhängig von den Gaben, die jemand hat. So wie jedes Glied des Leibes mit dem Haupt verbunden ist und diesem gehorcht, so ist auch jedes Glied der Gemeinde mit Christus verbunden. [↩]
- Siehe dazu z. B.: Hebräer 6,4–8 und 10,24–31 und weitere Bibelstellen, die in unserer Abhandlung über den Abfall vom Glauben erwähnt sind. [↩]